Eine Veranstaltung des Projekts:
Boaz Kaizman. Grünanlage
Aus Anlass des Festjahres 2021. 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland hat das Museum Ludwig den Künstler Boaz Kaizman – 1962 in Tel Aviv geboren, lebt und arbeitet seit 1993 in Köln – eingeladen, eine neue Arbeit zu entwickeln. Die Videoarbeit _Grünanlage _zeigt in sieben, über zwei Wandflächen verteilten großen Projektionen sechzehn neue Videos als Gesamtinstallation. Sie wird im großen Ausstellungssaal des Museum Ludwig auf einer Fläche von rund 200 Quadratmetern gezeigt.
Ausgewählte Passagen einzelner Videos sind im Ausstellungsraum hörbar. Zugleich haben die Besucher*innen die Möglichkeit, die Videos mit Hilfe von Kopfhörern für sich wahrzunehmen. Landschaftsaufnahmen bilden ein fortlaufendes visuelles Element. Bei den meisten handelt es sich um Grünanlagen in Köln, also um Orte funktioneller und urbanisierter Natur. Sie bleiben daher unbestimmt zwischen Stadt- und Naturraum.
In seiner Installation geht Kaizman von der eigenen Person aus. Er ist bei alltäglichen Handlungen zu sehen – auf dem Weg ins Atelier, bei der Zubereitung von Mahlzeiten oder beim Joggen im Park. Darüber hinaus reflektiert er den künstlerischen Prozess, indem er sein bisheriges Werk unter der thematischen Perspektive jüdischen Lebens in Geschichte und Gegenwart rekapituliert und als kurze Zitate in die Installation einbezieht.
So wird jüdisches Leben in Deutschland auf vermittelte Weise zum selbstverständlichen Zentrum der neuen Arbeit von Kaizman ohne ihr ausdrückliches Thema zu sein. Kaizman fragt mit seiner Arbeit nach der Möglichkeit von Erinnerung, nach der Gegenwärtigkeit von Geschichte und in welcher Form sie sich in Lebensgeschichten einschreibt.
In den einzelnen Videos tauchen so unterschiedliche Personen wie die Philosophin Hannah Arendt, der Komponist Yosef Tal, der Kunsthistoriker David Galloway oder der Schauspieler Dov Glickman auf. Musikstücke mit orientalischer und sardischer Anmutung, ein romantisches Volkslied und Klezmer-Musik sind Teil der Arbeit.
Ein weiteres Stück, das im Video von dem Ensemble für Neue Musik hand werk eingespielt wird, entpuppt sich als ein Gedicht von Kaizman. Der Künstler transformierte es durch ein Text-to-Speech-Programm, welches in die MIDI-Software – die Steuerbefehle in Klänge umwandelt– übertragen wurde, in Musik. Dabei ist die digitale Transformation für den Künstler kein Selbstzweck. Er zeigt damit vielmehr, dass die Sprache die Grundlage aller Künste ist – eingeschlossen der Musik und der bildenden Kunst.
Der Schwerpunkt der Installation auf Sprache und Literatur wird durch eine Kooperation mit der Kölner Bibliothek zur Geschichte des deutschen Judentums GERMANIA JUDAICA erweitert. Auf Einladung von Boaz Kaizman hat der Literatur- und Kulturwissenschaftler an der ETH Zürich, Andreas Kilcher, 1700 Bücher deutschsprachiger jüdischer Literatur der GERMANIA JUDAICA ausgewählt. Diese finden als eigenständiges Element der Ausstellung auf drei Regalen der Bibliothek ergänzt um Tische und Stühle einen Platz gegenüber der Videoinstallation. Die größte europäische Spezialbibliothek zur Geschichte und Kultur des deutschsprachigen Judentums erhält auf diese Weise für vier Monate eine Außenstelle als Präsenzbibliothek im Museum Ludwig. Kaizman verweist mit seiner Hommage an die Bibliothek auf die jüdische Kultur als eine der Schrift und des Buches, in deren Tradition er sich mit seinem bildnerischen, literarischen und musikalischen Werk sieht.
Diese Ausstellung ist eingebunden in das bundesweite Festjahr #2021JLID, das der Verein 321-2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland e.V. organisiert und koordiniert. Gefördert durch #2021JLID – Jüdisches Leben in Deutschland e.V. aus Mitteln des Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat.
Üblicherweise wird das Judentum als buchzentriert und bilderkritisch verstanden. Doch ist diese Gegenüberstellung verkürzt und problematisch. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich nicht nur, dass Bilder im Judentum sehr wohl eine eigene Dignität erhalten. Deutlich wird auch, dass Bilder in einem vielgestaltigen Verhältnis zur Schrift stehen.
Das wird in der jüdischen Moderne um 1900 besonders virulent. Fast gleichzeitig mit der Entwicklung des Begriffs „jüdische Literatur“ wurde auch der Begriff „jüdische Kunst“ stark gemacht. Tatsächlich stehen in der jüdischen Moderne Bild und Schrift Seite an Seite.
Beispiele für produktive Nachbarschaften der beiden künstlerischen Formen sind etwa auf der Seite der Kunst Ephraim Moses Lilien und Hermann Struck, auf der Seite der Literatur Else Lasker-Schüler und Franz Kafka. In dem Vortrag werden allgemeine Perspektiven dieses Verhältnisses ebenso zur Diskussion gebracht wie Beispiele aus dem Umfeld der jüdischen Moderne.
Die Veranstaltung findet im Rahmen der Ausstellung „Boaz Kaizman. Grünanlage“ statt, in der der Künstler eine raumfüllende Videoinstallation mit 1.700 Büchern aus der Kölner Germania Judaica verbindet. Die Auswahl dieser Bücher hat Andreas Kilcher für die Ausstellung getroffen.
Andreas Kilcher ist Professor für Literatur- und Kulturwissenschaft an der ETH Zürich. Er forscht zu literatur- und kulturwissenschaftliche Wissensforschung, jüdische Literatur- und Kulturgeschichte, sowie Kabbala- und Esoterikforschung.
Kinosaal
Heinrich-Böll-Platz
50667 Köln
Deutschland
Nordrhein-Westfalen