Abraham Lehrer: „Wir haben von solch einer positiven Resonanz in der Öffentlichkeit geträumt und sie erhofft.“
Ansprache Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrates der Juden und Vorsitzender der Mitgliederversammlung des Vereins „321 – 2021. 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ zur Finissage des Festjahres am 23.06.2022 in Berlin, Jüdisches Museum
Verehrte Festgesellschaft,
liebe Zuschauer an den Monitoren,
sehr geehrte Damen und Herren,
in der Vorbereitung dieses Festjahres haben Juden wie Nichtjuden, Funktionäre wie einfache Mitglieder unser Gesellschaft Bedenken geäußert, sind 1700 Jahre jüdisches Leben in der Region, die heute Deutschland darstellt, ein wirklicher Grund zum Feiern? Oder muss nicht vielmehr die Trauer über die zahlreichen Gräueltaten bis hin zur Ermordung von Juden ein Gedenkjahr eher rechtfertigen?
Rückblickend können wir zu Recht und auch mit einer guten Portion Stolz sagen, dass wir es geschafft haben, beides gleichberechtigt in die Augen der Gesellschaft zu stellen. Mit über 2.400 beim Verein registrierten Veranstaltungen zu unterschiedlichsten Themen jüdischen Lebens haben wir eine Vielfalt erreicht, die ich mir zu Beginn nicht habe vorstellen können. Diese werden ergänzt durch schätzungsweise weitere 1000 Veranstaltungen, die nicht in unserem Kalender eingetragen wurden. Allen Organisatoren, öffentlichen wie privaten Kooperationspartnern, Veranstaltern und Helfern dieser überwältigenden Zahl von Events danke ich von Herzen. Vor allem unserem BP Dr. Frank-Walter Steinmeier, der die Schirmherrschaft über unser Festjahr übernommen hat und es sich nicht hat nehmen lassen, zur Aufzeichnung der Auftaktveranstaltung in Corona-Zeiten nach Köln zu reisen, danke ich ganz besonders.
Liebe Festgesellschaft, es war dennoch eine Geschäftsstelle mit hauptamtlichen Mitarbeitern notwendig, die über Anträge und Mittelverteilung gewacht hat, mit den Kooperationspartner verhandelt, Vereinbarungen getroffen und Öffentlichkeitsarbeit vorgenommen hat. Stellvertretend nenne ich den Hauptgeschäftsführer Andrei Kovacs. Mein Dank möchte ich aber auch den vielen ehrenamtlichen Helfern aussprechen, die die Arbeit des Vereins mitgetragen haben. Hier darf ich Frau Generalsekretärin Sylvia Löhrmann lobend erwähnen. Mein weiterer Dank gilt dem Vorstand des Vereins Herrn Pfarrer Dr. Mathias Scheiber, Pfarrer Joachim Gerhardt und Frau Ruth Schulhof-Walter, die leider erkrankt ist und der ich in unser aller Namen gute Besserung und Refua Schlema wünsche, die alle drei haben ihre Abende und Wochenenden der Arbeit des Vereins geschenkt. Den beiden Arbeitgebern, der evangelischen Kirche im Rheinland und dem Landtagspräsidenten des NRW-Parlamentes möchte ich für die die viele Freiheit, die den Herren eingeräumt wurde, Anerkennung zollen. Den Mitgliedern des wissenschaftlichen Beirates, der Jury und des Kuratoriums, die ohne jedwede öffentliche Resonanz ihre Arbeit verrichtet haben, möchte ich natürlich ebenfalls meinen Dank aussprechen. Den Gründungsmitgliedern des Vereins, die gesagt haben „hier bin ich dabei, rechtliche Bedenken klären wir später“, danke ich ebenso. Den jüdischen Gemeinden, die sich breitgestreut über unser Land beteiligt haben, mit dem Zentralrat an der Spitze kann ich nur meine Anerkennung aussprechen.
Meine Dankesliste wäre absolut unvollständig ohne die Nennung der Geldgeber, der Financiers und der öffentlichen Sponsoren. Hier gebührt den Abgeordneten des vorherigen Bundestages, insbesondere den Haushältern der damaligen großen Koalition unsere Anerkennung und unser Dank, die uns auf den letzten Drücker großzügig mit Mitteln ausgestattet haben. Dem Land NRW vertreten durch die damalige Landesregierung unter MP Laschet danke ich genauso für ihre Großzügigkeit. Der Stadt Köln unter OB Henriette Reker will ich ebenso danken. Die Stadt Köln hat die Anschubfinanzierung formlos und rasch realisiert. Die Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen mit dem zukünftigen Direktor des LVR – Jüdischen Museums im archäologischen Quartier Köln haben sich intensiv mit zahlreichen Veranstaltungen am Festjahr beteiligt. Kardinal Wölki muss hier erwähnt werden, dem es gelungen ist nach bereits schriftlich ergangenen Absagen aus dem Vatikan das älteste erhaltene Original bzw. die älteste Abschrift des Edikts aus dem Jahr 321 für wenige Wochen nach Köln zu holen. Organisiert und finanziert wurde dieses Projekt vom LVR und dem Erzbistum. Ihnen allen zusammen nochmals Danke! Im BMI und BKM hatten wir Partner, die uns Verständnis entgegengebracht haben für unsere bisweilen auftretende Unbedarftheit. Auch dorthin ein dickes Dankeschön.
Und zum Schluss meiner Dankesworte möchte ich Herrn Prof Dr. Rüttgers und Dr. Mathias Schreiber meinen ganz besonderen Dank aussprechen. Sie sind die Urinitiatoren der gesamten Idee. Sie kamen zu mir und wir haben intensiv und langandauernd darüber diskutiert, ist dieses Datum ein Grund es publik zu machen, nur in Köln oder NRW oder auf der Bundesebene. Lieber Herr Rüttgers und lieber Herr Schreiber, wir haben dies alles nicht im rechtlichen Sinne, sondern im wirklich ideellen Sinn zu verantworten. Daher dürfen wir uns auch ein klein wenig vom Erfolg zuschreiben. Ihnen Beiden will ich wirklich aus dem Innersten meines Herzens danken.
In meinen mir zugestandenen 4 Minuten, die ich schamlos überschreiten werde, kann ich leider nicht mehr Personen unterbringen. Sie alle haben sich an einer tollen Idee beteiligt und es zu einer überwältigenden Erfolgsstory werden lassen. Vielen Dank auf Deutsch, Toda Rabah auf Hebräisch, Sch‘kojach auf Jiddisch – es soll Dir Kraft verleihen – angelehnt an einen religiösen Brauch des Judentums. Diese Dankesarie ist notwendig, um der riesigen Zahl von Beteiligten und Verantwortlichen gerecht zu werden. Und bestimmt habe ich manchen vergessen. Ich bitte bereits jetzt um Verzeihung.
Liebe Festgesellschaft, lassen Sie mich zurückkommen auf den ersten Gedanken in meinen Worten. Dieses Festjahr – Coronabedingt verlängert bis zum 30. Juni 2022 – ist ein riesiger Erfolg. Aber es konnte nicht alle unsere Probleme lösen: Der Antisemitismus ist nicht verschwunden und die offenen Fragen der Gedenkkultur sind nicht beantwortet, um nur zwei Beispiele zu nennen. Aber es wurden zahlreiche alternative Ansätze gefunden.
Ignaz Bubis S.A und Paul Spiegel S.A. und auch mein Präsident aus dem ZRdJ haben zu Beginn ihrer Amtszeiten geäußert, sie wollen jüdisches Leben in seiner Vielfalt und Lebendigkeit darstellen. Zu einem guten Stück ist dieses Unterfangen mit dem Festjahr gelungen. Menschen, die sich schon immer mit dem Judentum beschäftigt haben, aber auch solche, die unbedarft, fast unwissend die Veranstaltungen besucht haben, haben Erkenntnisse und Wissen mitgenommen. Vermutlich konnten sie Juden kennenlernen und feststellen, es besteht kein Unterschied zu einem Nichtjuden. Die Scheu vor der Polizei beim Besuch eines Gemeindezentrums, das Kosten von jüdischen Speisen oder das Kennenlernen von historischen Fakten, welche Musiker, Maler, Autoren, Künstler, Politiker, Mediziner und Wissenschaftler Deutsche mit jüdischem Glauben waren, das alles hat einen großen Teil unserer Gesellschaft für das Judentum einnehmen können. Der Blick zurück in die deutsch-jüdische Geschichte, der Einblick in heutiges jüdisches Leben und auch die Auseinandersetzung mit der Zukunft der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland hat unsere Ziele vollkommen getroffen. Wir wissen, Kinder und Jugendliche, junge und ältere Erwachsene, Arbeiter und Angestellte, Führungskräfte ebenso wie Aushilfen haben teilgenommen, also ein Querschnitt durch die Gesellschaft.
Einige Beispiele für die angemeldeten Projekte möchte ich hervorheben:
- Am 21.03.2021 wurde eine medial aufbereitete Ausstellung eröffnet, die aus 30 Statements besteht zum Thema »Jüdisches Leben in Trier«. Experten zu unterschiedlichen Epochen (von der römischen Zeit bis heute) führen den Besucher durch Jahrhunderte des jüdischen Lebens in Trier mittels drei-bis fünfminütiger Ausführungen. Diese wurden an Orten in der Stadt aufgenommen, die historisch mit dem Judentum verbunden oder aktuell für die jüdische Gemeinde bedeutsam sind. Man kommt inhaltlich fundiert in der Gegenwart an, und die positiven Aspekte des Zusammenlebens finden angemessene Berücksichtigung.
- Antisemitismus, Antizionismus und BDS im Netz sind Themen, die jüdisches Leben weltweit regelmäßig und vermehrt umtreiben – nur selten werden jedoch Lösungsvorschläge präsentiert. Dies möchte das Projekt ändern. Zusammen mit Multiplikatoren aus der jüdischen Community, politischen Jugendorganisationen und Hochschulgruppen sowie relevanten Vertretern der Kommunen und Landtage möchten die Ausrichter Strategien entwickeln, um Hass im Netz zu begegnen. Das Motto ist „Words Matter – Antisemitismus im Netz begegnen“.
- Eine Stiftung startet ein bundesweites Bildungsprojekt für Jugendliche. Mit einem Wissensmagazin, Wanderausstellungen und Eventreihen behandeln Bildungsakteure das Thema „Jüdisches Leben in Deutschland“ mit dem Ziel, dass sich über eine Million Jugendliche mit Ideologien und Praktiken des Antisemitismus und dessen Bekämpfung auseinandersetzen. Gleichzeitig vernetzen sich Bildungseinrichtungen mit jüdischen Gemeinden und Akteuren des Jubiläumsjahrs aus Kultur, Sport, Kunst und Wissenschaft.
Wir, die Urheber dieses Festjahres, haben von solch einer positiven Resonanz in der Öffentlichkeit, der Berichterstattung in den Medien, der Beteiligung von kleinen und großen, öffentlichen und nichtöffentlichen, staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen geträumt und sie erhofft. Der Verein und seine Repräsentanten sind mit dem Erreichten zufrieden. Ein neuer Weg wurde beschritten und wir sind dabei nicht im Morast versunken. Jeder von uns hat noch seine speziellen Vorstellungen, was noch zusätzlich gemacht werden sollte. Wir wünschen uns im Augenblick eine Evaluation des Festjahres, um unser gutes und vielleicht überschwängliches Gefühl zu überprüfen.
Es stellt sich natürlich die Frage, wie soll es weitergehen mit unserer Idee und unserem Projekt. Die kurze Antwort, die ich heute abgeben kann, ist, dass wir versuchen werden, das Projekt auf die Europäische Ebene zu heben. Hier sehen wir eine Zukunft für diese Erfolgsstory. Die Gespräche hierzu haben bereits begonnen.
Wie angekündigt habe ich überzogen und entschuldige mich dafür bei den Organisatoren. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.