Shelly Kupferberg spricht im Interview über das Festjahr & neue Aufgaben
Kaum eine größere Veranstaltung im Festjahr, die die freie Journalistin Shelly Kupferberg nicht moderiert hätte – angefangen vom TV-Magazin zur Eröffnung des Festjahres mit Bundespräsident Dr. Frank Walter Steinmeier in Köln über den Bildungs-Fachtag in Düsseldorf bis hin zur Finissage von #2021JLID in Berlin. Jetzt hat sie ein Buch geschrieben.
Shelly Kupferberg präsentierte auf zahlreichen Podien und in unserem Podcast #2021JLID die vielen Facetten jüdischen Lebens in Deutschland. „Nebenher“ hat sie die Pandemie genutzt, um eine spannende Biografie zu recherchieren und darüber ein Buch zu schreiben: Am 24. August erscheint die Geschichte ihres Urgroßonkels „Isidor“. Bei der sich anschließenden Lesereise macht Shelly Kupferberg im Oktober auch einen Zwischenstopp auf der Frankfurter Buchmesse. Über ihr Buch und wie sie das Festjahr #2021JLID erlebt hat, hat die #2021JLID-Pressechefin Nambowa Mugalu mit der Berliner Journalistin gesprochen.
Wie hast Du das Festjahr ganz persönlich erlebt, Shelly?
Definitiv als eine große Überraschung. Ich hätte nicht gedacht, dass es einen solchen Schub an unterschiedlichsten Projekten auslöst. Anfangs dachte ich, es wird ein paar offizielle Veranstaltungen geben, begleitende Ausstellungen, hier und da ein Gespräch, ein Panel. Aber die große Beteiligung und die thematische Vielfalt so vieler Institutionen, Organisationen und Projekte haben mich wirklich sehr erfreut und überrascht.
Als Moderatorin des Podcasts zum Festjahr hast Du mit vielen Menschen über ihre Lebenswege und Perspektiven gesprochen. Was nimmst Du mit aus den vielen Gesprächen?
Mir ist noch einmal deutlich geworden, wie viele unterschiedliche Stimmen heute jüdisches Leben in Deutschland ausmachen. Das ist eine kleine, sehr vitale, vielstimmige Community. Das war mir zwar bewusst, ich habe aber durch die vielen Gespräche mit interessanten Menschen noch einmal verdeutlicht bekommen, dass jüdisches Leben in diesem Land ein selbstverständlicher Bestandteil ist – und sich sehr unterschiedlich und selbstbewusst darstellt und einbringt, sei es kulturell, religiös oder zivilgesellschaftlich. Wenn dieses Festjahr genau das vermittelt hat, wäre es wunderbar!
Neben Deinen Tätigkeiten als Journalistin und Moderatorin veröffentlichst Du in Kürze Deinen ersten Roman. Wovon handelt er und wie kam es dazu?
Am Anfang meiner Recherche stand die Frage: „Welche Kunst hing im Palais meines Urgroßonkels in Wien?“ Diese Frage wandelte sich im Laufe meiner Recherche zu einer anderen: „Was bleibt von einem Menschen übrig, wenn nichts von ihm übrig bleibt?“ Mein Urgroßonkel Isidor (das war nicht sein echter Name, er nannte sich nur so, weil er als Jude nicht erkannt werden wollte) kam aus dem ärmlichsten ostgalizischen, orthodoxen Milieu – er brach daraus aus und machte einen rasanten Aufstieg im Wien der 1910er, 1920er Jahren: Er wurde zum Kommerzialrat und Berater des österreichischen Staates, er saß in einer Art Wirtschaftswaisenkommission als erfolgreicher Jurist und Ökonom. Das alles habe ich im Zuge meiner Recherchen und auf der Suche nach seinen Habseligkeiten herausbekommen, inklusive seiner Liebschaft mit einer Budapester Soubrette, die Ende der 1930er Jahre in Wien von Hollywood entdeckt und zu einem Star der 40er Jahre in den USA wurde. Ich habe in diversen Archiven dieser Welt spannendes Material gefunden, und so ergab sich eine Art Puzzle, ein Spotlight auf jene Zeit anhand einer Lebensgeschichte. Und ich fand viele irre Stories – ich habe sie alle zusammengetragen und daraus ein Buch gemacht. Eine Spurensuche. Dazu habe ich noch alte Briefe auf dem Hängeboden der Tel Aviver Wohnung meiner Großeltern gefunden aus den 30er, 40er, 50er Jahren, die auch eine Rolle in dem Buch spielen.
Warum war es Dir wichtig, Isidors Geschichte zu erzählen?
Meine Recherche begann als rein private Angelegenheit. Ich hatte nie vor, ein Buch zu schreiben. Aber als ich begann, mehr über ihn herauszufinden und sein Leben zu rekonstruieren, fragte ich mich immer mehr, wie ein Mensch beschaffen sein muss, um einen solchen Aufstiegswillen an den Tag zu legen. Isidor war ein Selfmademan, wie so viele Menschen jener Zeit um 1900. Er erfand sich neu, zog sich am eigenen Schlafittchen aus der Misere und machte eine schnelle und gewaltige Karriere, die durch die Nazis brutal beendet wurde. Diese Biografie – sie ist eine von Hunderttausenden vergessenen, nicht erzählten Lebensgeschichten – hat mich unglaublich beschäftigt. Warum, das kann ich nicht genau sagen. Es war ein Drang, ich konnte nicht anders, als anzufangen, seine Geschichte aufzuschreiben. Offenbar musste sich da etwas in mir Bahn brechen.
Vielen Dank für das Gespräch, liebe Shelly – und alles Gute für Deine Lesereise, die ja im September startet!