„Englische, französische, russische und deutsche Dolmetscher werden die Verhandlungen laufend in die verschiedenen Sprachen übersetzen. Sie werden in Mikrophone sprechen, die mit Kopfhörern verbunden sind, welche von Richtern, Anklagevertretern, Angeklagten, Verteidigern, Gerichtsschreibern und allem anderen Gerichtspersonal, eingeschlossen Pressevertretern und Zuschauern, getragen werden müssen“, stand am 17. November 1945 in den Nürnberger Nachrichten zu lesen. Drei Tage darauf begann in Nürnberg jener Jahrhundertprozess, in dem zum ersten Mal in der Geschichte die Schuldigen eines Krieges und millionenfachen Mordens zur Verantwortung gezogen wurden. 24 hochrangige nationalsozialistische Politiker und Militärs waren angeklagt. Dem Gerichtshof gehörte je ein Vertreter der USA, der UdSSR, Großbritanniens und Frankreichs an.
Der große Wurf: die simultane Verdolmetschung
Die Ausstellung Ein Prozess – vier Sprachen des Internationalen Verbands der Konferenzdolmetscher (Association internationale des interprètes de conférence, AIIC) zeigt, wie bahnbrechend das Problem gegenseitigen Verstehens damals bewältigt wurde. Eine Schlüsselfigur war „der Professor und Sprachwissenschaftler Léon Dostert, Eisenhowers Dolmetscher“, wie Robert M. W. Kempner, der stellvertretende Hauptankläger, in seinen Erinnerungen schrieb.
Dostert erhielt den Auftrag, die weitgehend unerprobte Technik des Simultandolmetschens für den Prozess verfügbar zu machen. Die Geräte dafür stammten von IBM und dem US Army Signal Corps.
Mit mehreren Assistenten reiste er nach Paris und Genf, um geeignete Sprachkundige zu finden, weitere wurden von den Kriegsministerien der USA, Großbritanniens und Russland geschickt. Das Auswahlverfahren, das Sprachkenntnisse, Reaktionsschnelligkeit und Nervenstärke testete, überstanden nicht viele. Der Prozess begann mit ca. 40 Simultandolmetscher*innen, die Fluktuation während des Prozesses war sehr stark.
Unter ihnen befanden sich viele Geflüchtete wie russische und belarussische Adelige, die der Revolution entkommen waren, Opfer des Stalinismus sowie überwiegend jüdische Deutsche, die vor den Nationalsozialisten geflohen waren. Fast alle waren auf die eine oder andere Weise Opfer des Nazi-Regimes gewesen. Auf 27 mehrsprachigen Säulen präsentiert die Ausstellung anhand von Fotos und Lebensläufen diese Simultandolmetscher*innen der ersten Generation, die mit ihrer Arbeit den Grundstein für den Berufsstand legten, was 1953 in Paris zur Gründung des AIIC führte.
Ein Porträt des europäischen Kontinents im Zeitalter der Extreme
Gezeichnet wird damit zugleich ein Porträt des europäischen Kontinents in diesem Zeitalter der Extreme. So verdeutlicht die Ausstellung, wie emotional belastend die Tätigkeit der Dolmetscher*innen war. Als der Chefankläger Robert H. Jackson die Anklage verlas, sei, so berichtet der Schriftsteller John Dos Passos, der dem Prozess beiwohnte, das Gesicht der deutschen Dolmetscherin hinter der gläsernen Trennwand neben der Box der Häftlinge „eine Maske des Schreckens“ gewesen: „Manchmal scheint ihre Kehle wie zugeschnürt, sodass sie Mühe hat, die entsetzlichen Worte auszusprechen.“
Das Tagebuch einer Dolmetscherin und die privaten Aufzeichnungen weiterer Dolmetscher*innen, die von Angehörigen für die Ausstellung zur Verfügung gestellt werden, dokumentieren das damalige Erleben. Technische Einrichtungen wie die Kopfhörer und Wählschalter der Sprachen an jedem Sitz sowie die Arbeitssituation der Dolmetscher*innen veranschaulichen Bildmaterial und Exponate. Zu sehen gibt es etwa einen Vorläufer der Simultananlage – ein sogenanntes Kerzenhaltertelefon, das am Mundstück mit einem „Hush-A-Phone“, einem Gerät zur Geräuschreduzierung, versehen war. Dazu wird über die Entwicklung der Geräte seit den 20er Jahren informiert.
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