„Diesen Festschmaus hätten Sie sehen müssen! Zuerst die Appetitanreger: knusprige Waffeln und Heringsstückchen, Zwiebeln und Hühnerschmalz, Rettich und gehackte Leber, Eier und Gänsegrieben. Anschließend der kalte Fisch und das Fleisch vom gestrigen Zimes, dann die gelierte Kalbshaxe und Fisgona mit dünnen Knoblauchscheiben und anschließend Kugel, nach einer ganzen Nacht im Herd …“, lässt der jiddischsprachige Schriftsteller Scholem Alejchem den Protagonisten seiner Erzählung Was wir für einen Rabbiner haben schwärmen. Die jüdische Küche zeichnet sich durch viele köstliche Speisen aus. Man denke nur an die herzhaften Holischkes, Knishes und Blintze, das feurige-scharfe Schakschuka oder die herrlich süße, aromatische Rosenkonfitüre.
Arabische, persische und türkische Einflüsse treffen auf Osteuropa
Der FoodGuide Jüdische Küche spürt den vielfältigen Einflüssen nach, die in der jüdischen Kochkunst zusammenkamen. Beginnend im Mittelalter und mit der Prägung durch die Speisegebote von Tora und Talmud, bis in die Gegenwart folgt er ihrer Entwicklung. „Koscher“, also geeignet, müssen alle Zutaten gemäß der religiösen Speisevorschriften sein. So darf etwa Fleisch kein Blut enthalten. Denn Blut gilt als Sitz des Lebens. Es unterliegt nicht der Verfügungsgewalt des Menschen und ist daher vom Genuss ausgeschlossen. Die Heiligung des Lebens soll sich nicht nur auf den Gottesdienst beschränken, sondern auf alle Bereiche erstrecken, und nach der Zerstörung des Tempels wurde das Heim zum heiligen Raum und der Tisch zum Altar.
Historisch gesehen, sind es zwei große Traditionslinien, die sich durch die jüdische Küche ziehen, die von arabischen, persischen und türkischen Ingredienzien geformte mediterrane Küche der Sephardim und die von osteuropäischen Essgewohnheiten bestimmte Küche der Aschkenasim. Darüber hinaus aber spielten auch die Verbindungen mit lokalen Gegebenheiten wie der Agrarlandschaft oder der Verfügbarkeit eine Rolle. Der FoodGuide verdeutlicht, wie eng die europäische Esskultur mit der jüdischen verzahnt war und welch reger Austausch stattfand.
Jüdische Kochkunst als Trendsetter
Das Ende, das die Shoa der jüdischen Kulinarik im deutschsprachigen Raum bereitete, währte lang. Seit gut einer Generation aber blüht die jüdische Kochkunst in Deutschland wieder auf. Sich besinnend auf die alten Traditionen, aber frei im Umgang mit ihnen und offen für neue Ideen und kulinarische Strömungen, ist sie selbst zum Trendsetter aufgestiegen. Ambitionierte junge Köch*innen erschließen für sich den Schatz an Wissen über die verschiedenen Arten der Zubereitung, des Garens, Bratens oder Gelierens, die Raffinesse des Würzens und Beizens und entwickeln damit ihren eigenen individuellen Stil. Die klassischen Gerichte interpretieren sie neu und passen sie modernen Ernährungsgewohnheiten an.
Das Projekt-Team des FoodGuides, dem der Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder von der Universität Regensburg, der Kultur- und Medienexperte Markus Schreckhaas, die interdisziplinär arbeitende Südosteuropakennerin Jana Stöxen und die Kunst- und Kulturwissenschaftlerin Antonia Reck angehören, sieht in der Auseinandersetzung mit aktuellen Tendenzen der jüdischen Küche einen wesentlichen Schwerpunkt seiner Recherchearbeit. In Reportagen und Porträts stellt es kreative Gastro-Unternehmen, hippe Restaurants und herausragende Persönlichkeiten der zeitgenössischen Food-Szene, die sich der jüdischen Küche verschrieben haben, vor. Jüdische Spitzenköch*innen lässt es dabei ebenso zu Wort kommen wie Protagonist*innen der jüdischen Alltagskultur.