Eine Veranstaltung des Projekts:
Helfen bedeutet leben: Jacob Teitel und der Verband russischer Juden in Deutschland (1920–1935)
Jacob Teitel (1850–1939) steht für ein Kapitel deutscher Geschichte, das wenig bekannt ist. „Exilarch der russischen Kolonie in Berlin“ nannte man ihn, nach dem vom König David abstammenden Führer der jüdischen Gemeinde in Babylon. Teitel setzte sich in den 1920er-Jahren unermüdlich für Tausende jüdischer Flüchtlinge ein, die nach den Revolutionen in Russland, den Pogromen in der Ukraine, in Polen und Galizien nach Deutschland flohen.
In der Nähe der heutigen Urania in der Berliner Kleiststraße gründete Teitel 1920 den „Verband russischer Juden“. Hier half man jüdischen Flüchtlingen aus Russland, Arbeit zu finden, gewährte ihnen zinslose Darlehen und gab ihnen ärztliche, rechtliche und soziale Unterstützung. Wöchentlich traf man sich im Logenhaus B’nai B’rith zu Vorträgen, Filmabenden, zum Tanzen und zum Diskutieren. Teitel dehnte dieses Konzept auf andere Städte aus. 1931 entstand eine Dependance in München. 1935 wurde der Verband unter dem Druck des Nazi-Regimes aufgelöst, war jedoch noch bis 1939 illegal in Berlin tätig.
Auch die Nachfolgeorganisationen von Teitels Hilfskomitee in Frankreich (1940–1965) und in den USA (1941–1965) leisteten Hilfe in der Holocaust- und in der Nachkriegszeit.
Gutes tun bis zum Schluss
Jacob Lwowitsch Teitel (1850–1939) stammte aus Tschernyi Ostrov in der heutigen Ukraine. Seinerzeit war er der einzige Jude in Russland, der als Untersuchungsrichter am Staatsgericht zugelassen war. Ab 1905 häuften sich die antisemitischen Ressentiments. Nach der bolschewistischen Revolution wanderte er – wie mit ihm große Teile der russisch-jüdischen Intelligenzija – im April 1921 endgültig aus, denn auch unter den neuen Herrschern ließ der Hass auf Jüdinnen*Juden nicht nach.
Bis 1933 lebte Teitel in Berlin und zog dann nach Frankreich. Mit fast 90 Jahren reiste er als Vertreter der russischen Jüdinnen*Juden in Europa im Juli 1938 von Nizza aus zur Evianer Flüchtlingskonferenz, die er resigniert und desillusioniert verließ. Teitel starb 1939 in Nizza.
Ausstellungen in Düsseldorf, Wiesbaden, Essen, Frankfurt an der Oder, Leipzig, Berlin und München dokumentieren Teilers spannendes Leben und Werk und das der russischen Intelligenzija im Westen.
Jacob Teitels zahlreiche Briefwechsel, vor allem am Vorabend und zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, sind erschütternde Dokumente über das Leben der russischen Jüdinnen*Juden im nationalsozialistischen Deutschland und auf der Flucht.