Interview mit Dr. Felix Klein
Das Festjahr #2021JLID neigt sich seinem Ende entgegen. Grund für uns, einmal mit dem Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus – Dr. Felix Klein – zu sprechen.
Verein 321: Das Festjahr 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland geht zu Ende. Was hat Sie in diesem Jahr freudig überrascht?
Dr. Felix Klein: Freudig überrascht hat mich, wie groß der Zuspruch und das Interesse der gesamten Gesellschaft waren, wenn es um die Themen jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus geht. Dies hat sich auch an der großen Zahl an Projekten und der trotz Corona großen Resonanz von Besuchern und Medien gezeigt.
Verein 321: Was hat Ihnen gefehlt?
Dr. Felix Klein: Eigentlich kann ich schon sagen, dass ich mit dem Verlauf des Festjahres sehr zufrieden bin. Die einzige Einschränkung war jedoch massiv: Durch die Corona-Pandemie konnten viele Veranstaltungen nicht wie geplant oder überhaupt nicht stattfinden. Dies ist ein großer Verlust. Umso beeindruckender ist, wie das Festjahr mit über 2000 Veranstaltungen in ganz Deutschland doch gemeistert wurde.
Verein 321: Die jüdische Community ist während des Festjahres in ihrer großen Vielfalt sichtbarer geworden. Wie verändert das den Umgang mit Jüdinnen*Juden in Deutschland? Oder: Was denken Sie, wie sich das auf das jüdisch-deutsche Verhältnis auswirkt?
Dr. Felix Klein: Im Angesicht der Verantwortung der deutschen Gesellschaft die Erinnerung und das Gedenken an das Menschheitsverbrechen der Schoah wachzuhalten und im Angesicht der Bedrohung durch den Antisemitismus und antisemitische Gewalt, kann es so etwas wie eine reine und uneingeschränkte Selbstverständlichkeit nicht geben. Und dennoch hat das Festjahr dazu beigetragen, zu zeigen, dass Juden in Deutschland zur gesamtgesellschaftlichen Normalität gehören. Und dies führt dazu, dass Berührungsängste abgebaut werden. In manchen Beiträgen zum Festjahr hieß es: Viele Nicht-Juden haben ein Problem damit „Jude“ überhaupt auszusprechen. Dies – und vieles mehr – hat sich geändert.
Verein 321: Was bleibt zu tun?
Dr. Felix Klein: Es gilt nun die Erfolge des Festjahres zu verstetigen. Deswegen habe ich u. a. den Ehrenamtspreis für jüdisches Leben gestiftet, der die Impulse aus dem Festjahr aufnimmt. Mit dem Preis soll ehrenamtliches Engagement ausgezeichnet werden, das jüdisches Leben in Deutschland stärkt und es besser sichtbar macht. Der Preis wird in zwei Kategorien vergeben: Eine Kategorie richtet sich an junge Menschen unter 27 Jahren, die andere ist ohne Altersbeschränkung. Nähere Informationen finden sich auf meiner Websitewww.antisemitismusbeauftragter.de/ehrenamtspreis. Dies ist natürlich nur ein kleiner Schritt. Erst wenn vor Synagogen und anderen jüdischen Einrichtungen keine Polizeikontrollen mehr stehen müssen, kann ich mich zur Ruhe setzen. Aber auch dann wünsche ich mehr viele Projekte und Begegnungen, die das vielfältige jüdische Leben in Deutschland in all seinen Facetten sicht- und erfahrbar machen.
Verein 321: Welche Form von Antisemitismus beschäftigt Sie im Moment am meisten?
Dr. Felix Klein: Es gilt, alle Formen des Antisemitismus gleichermaßen zu bekämpfen, egal, welche geistige Haltung auch zugrunde liegen mag. Allerdings stelle ich fest, dass der israelbezogene Antisemitismus aktuell besonders starke Verbreitung findet, zuletzt im Zusammenhang mit der Documenta. Kritik bzw. Ablehnung an die Staatsangehörigkeit zu knüpfen, nicht an ein konkretes, individuelles Handeln, und insbesondere Juden mit Israelis gleichzusetzen, halte ich für antisemitisch. Künstlerinnen und Künstler können – wie alle – selbstverständlich die israelische Politik kritisieren. Aber Antisemitismus darf in Deutschland keinen Raum haben, auch nicht in der künstlerischen Auseinandersetzung.
Verein 321: Welche Denkmuster in der deutschen Öffentlichkeit verhindern eine höhere Sensibilität und Widerstandskraft gegen Antisemitismus?
Dr. Felix Klein: Ich würde es umgekehrt betrachten: Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, dass sie antisemitische Denkmuster vertreten. Und genau hier liegt das Problem. Es muss gelingen, ein stärkeres Bewusstsein dafür zu schaffen, wie tief antisemitische Stereotype auch und gerade in der Mitte unserer Gesellschaft verankert sind. Es spielt dabei keine Rolle, ob es sich um Klischees von den „reichen Juden“ oder einer „besonderen Intelligenz“ oder die Vorstellungen einer großen Macht handelt. Dort wo eine bestimmte Wahrnehmung von Juden besteht, nur weil sie Juden sind, ist eine Grenze überschritten. Hier ist jeder und jede einzelne gefordert, auch eigenen Denkmuster kritisch zu hinterfragen.