16.07.2021

Russisch-ukrainisch-jüdische Kochkunst mit kulturellen Schmankerln serviert

Kreativ, informativ und unterhaltsam: Mit diesem Konzept wurde auch die zweite Auflage des digitalen Koch-Formats im Rahmen des „Mentsh!“-Festivals der Begegnungen zu einem großen Erfolg. Nach Tom Franz, der für den Abend ein Warschauer Kochbuch aus dem Jahr 1930 zur Verfügung gestellt hat, rührte diesmal Juri Ushachov, Küchenchef und Kulinarischer Leiter der Jüdischen Gemeinde Wiesbaden, in den Töpfen. Rund 70 Zoom-Teilnehmenden eröffnete er in knapp zwei Stunden mit „Tzimmes à la Odessa“ (Putengeschnetzeltes süß-sauer), Priwoz (Auberginen-Paprika-Salat), marinierten Zucchini sowie Charlottenkuchen mit Äpfeln die Welt der russisch-ukrainisch-jüdischen Kochkunst.

„Es hat mich sehr gefreut, wie engagiert die Workshop-Teilnehmer mitgemacht haben“, blickt Ushachov auf das Event zurück. Wieder waren ganze Familien dabei, kochende Freundeskreise, junge und ältere Menschen. Dem Küchenchef auf die Finger zu schauen, war jede Minute wert: Hochkonzentriert wie ein Zauberer mixte der Wiesbadener seine Zutaten zusammen, erläuterte jede Komponente und beantwortete nebenher noch die Fragen der Zuschauer*innen. Zudem gab es ein kleines Quiz, bei dem der Name des Gebäcks („Kichelach“) erraten werden musste. Die beiden Gewinnerinnen aus Köln bzw. Berlin dürfen sich nun auf eine „Mentsh!“-Kochschürze freuen.

Unter dem Motto „Odessa Mama“ wurde aber an diesem Sonntagnachmittag nicht nur gekocht: Der Musiker Daniel Kahn begleitete mit seiner Familie die kulinarische Begegnung mit jiddischen Liedern per Zoom. Und Dr. Elena Solominski referierte über die Vielfalt jüdischer Speisen im Zarenreich oder rezitierte beispielsweise aus der Erzählung „Ein Omelette wie bei den Reichen“ von Scholem Alejchem. Die „Mentsh!“-Projektleiterin wusste überdies zu berichten, dass in den Familien russischer Jüdinnen und Juden heute noch genau wie vor 100 Jahren gekocht wird – auch wenn manche Gerichte etwas modifiziert oder ihre Namen geändert wurden, entsprechend der Rezepte, die jüdische Einwanderer*innen in die Staaten oder nach Israel mitbrachten.

Ein besonderer Blickfang waren nicht nur historische Kochbücher und seltene Fotos zur Tischkultur bei Familienereignissen, sondern auch eine Einladungs- und Speisekarte aus dem Jahr 1911, die die Russische Revolution, zwei Weltkriege und Diktaturen überstanden hat. Mit dieser Karte hatte die Moskauer Familie Persitz zum Fest des „Ersten Haareschneidens“ ihres Sohnes eingeladen – ein chassidischer Brauch, bei dem die dreijährigen Jungen bis auf die wachsenden Peijes (Schläfenlocken) erstmals das Haupthaar geschoren bekommen. Danach beginnt der Schul-Besuch, und das Kind wird mit den Gebeten und der jüdischen Religion vertraut gemacht.

Spannend wies die Referentin anhand der Speisekarte nach, welche spirituelle Bedeutung die angebotenen Speisen bekommen: Die Kinder Israels werden mit dem Traubenwein verglichen, das Obst symbolisiert ein erfolgreiches Leben, die Süßigkeiten Eretz Israel usw. Die beeindruckende Karte wurde dem Verein 321-2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland vom Museum zur Geschichte der russischen Juden (Moskau) anvertraut. Die Texte des Menüs hatten Dr. Alexandra Poljan (Moskau/Regensburg), Gitta Kleinberger (Düsseldorf) und Gerda Steinfeld (Israel) aus dem Jiddischen und Hebräischen übersetzt.

Die Teilnehmenden waren von dem kurzweiligen Abend sehr angetan und kochten einige der Speisen bereits am nächsten Tag noch einmal, weil sie so lecker waren. Schon mal vormerken: Beim nächsten Koch-Event am 22. August werden unter dem Motto „Shalom, Balkan!“ Rezepte ungarischer und rumänischer Juden gekocht.