Interview mit Jan Feldman: „Künstler müssen viel Mut haben“

 

2021 feiern wir 1700 Jahre jüdischen Leben in Deutschland. Was bedeutet dieses Jubiläum für das Miteinander von Juden und Nichtjuden in Deutschland für Sie persönlich 

Wir blicken auf eine sehr lange Zeit des Miteinanders zurück: 1700 Jahre. Darunter gab es gute, aber auch viele schlechte Zeiten. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass sich in unserer modernen Gesellschaft jeder als Teil der Gesellschaft fühlt, aber dennoch die Geschichte kritisch sieht und nicht vergisst.  

Für mich persönlich bedeutet es, zu wissen, dass ich, bzw. meine Kultur, Wurzeln in diesem Land hat. Und das nicht erst seit gestern, sondern seit 1700 Jahren.  

Haben Sie sich sofort mit der jüdischen Perspektive in der Kunst beschäftigen wollen oder war das ein Prozess?  

Das war absolut ein Prozess. Jeder Künstler sucht nach Inspiration. Ich habe mir irgendwann die Frage gestellt: Was inspiriert mich zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben? Da ich mich verbunden mit der jüdischen Kultur fühle, wurde mir klar, dass die Antwort auf meine Frage direkt vor meiner Nase lag: die Kultur, die Menschen, die mich inspirieren, sind hier um mich herum. Und das sind auch die Menschen, die ich vielleicht am besten verstehe.  

Desto mehr ich in meinem Umfeld gefragt habe, welche Themen die Menschen beschäftigen, desto klarer wurde mir, dass jüdisches Leben in Deutschland leider nur mit einigen wenigen Themen in Zusammenhang gebracht wird.  Aber das entspricht nicht unserer gefühlten Realität. Vor allem wir jungen Jüdinnen und Juden sind viel mehr als das. Wir sind Menschen, die die Gesellschaft mitgestalten, die sich in verschiedene Bereiche entwickeln und wir sind Menschen, die unsere zukünftige Gesellschaft prägen.  

Wie kann Kunst Ihrer Meinung nach dazu beitragen, jüdisches Leben in Deutschland heute und in Zukunft sichtbar zu machen? 

Ich halte Kunst für ein wichtiges Medium, um jüdisches Leben sichtbar zu machen, denn durch die Kunst schafft man es, Menschen im Herzen anzusprechen. So war es in der Vergangenheit und so ist es auch heute. Ich finde, es kann nicht genug Menschen geben, die sich künstlerisch beteiligen und das jüdische Leben sichtbar machen. Menschen, die sagen: Wir sind hier, wir gestalten mit, wir leben hier.  

Ihre Online-Ausstellung „Jewersity“, die Sie zum Festjahr #2021JLID veröffentlichen, möchte die Vielstimmigkeit jüdischen Lebens in Deutschland zeigen. Inwiefern? 

Viele Leute denken, wenn Sie den Begriff „Jude“ hören, zuerst an Antisemitismus, an die Shoa oder an Israelfeindlichkeit. Doch ich sehe an all den Menschen meiner Generation, dass wir viel mehr sind als das und das möchte ich mit meinen Mitteln zum Ausdruck bringen.  

Es ist enorm wichtig, dass wir die Erinnerungskultur beibehalten. Ich glaube, dass es keine gesunde Zukunft geben kann, ohne dass wir uns daran erinnern, was passiert ist. Genauso wichtig finde ich es aber auch zu beleuchten, was jüdischen Menschen heute ausmacht.  

Welches gesellschaftliche Thema, das sich auf die deutsch- jüdische Kultur der Gegenwart auswirkt, wollten Sie mit Ihrer Arbeit verdeutlichen? 

Es geht um ein besseres gegenseitiges Verständnis. Es ist klar, dass man über Juden oft nur in Büchern liest und man Juden vielleicht nicht täglich begegnet. Das möchte ich ändern. Das Projekt soll die Gegenwart von Juden in Deutschland in den Fokus setzen.  

Was wäre für Sie der größte Erfolg dieser Arbeit?  

Ich erhoffe mir zum einen, dass es so viele Leute erreicht wie möglich. Zum anderen versuche ich mit meinen bescheidenen Mitteln dazu beizutragen, das Miteinander von Jüdinnen, Judenund Nichtjuden zu vermitteln.  

Seit einigen Jahren sind Sie Teil des deutschen Kunstszene. Wie haben Sie in dieser Zeit Antisemitismus erlebt? 

Ich persönlich habe, zum Glück, nicht wirklich Antisemitismus erlebt. Aber in meinem Bekanntenkreis sind einige Leute, die während des Anschlags in der Synagoge in Halle waren. Deshalb wäre es naiv und falsch, den Schluss zu ziehen, ich hätte keinen Antisemitismus erlebt und dadurch würde es ihn nicht geben. Nein, es gibt ihn sehr wohl. 

Welchen Herausforderungen müssen sich jüdische Künstler in Deutschland stellen? 

Das hängt davon, ob man sich als jüdischer Künstler identifiziert oder nicht.  

Auf jeden Fall glaube ich, jüdische Künstler müssen mutig sein. Mutig sein, sich zu zeigen und zu sagen: Wir sind da und wir machen Kunst. Das ist ja auch grundsätzlich so. Künstler müssen ein bisschen mutiger und provokanter sein, um auf bestimmte Missstände aufmerksam zu machen.  

Welche Erwartungen oder Wünsche für die Zukunft jüdischen Lebens in Deutschland verknüpfen sie mit dem Festjahr?  

Ich hoffe, dass das Festjahr für alle erfolgreich wird, die sich daran beteiligen. Ich hoffe, wir werden alle zusammen viele Menschen erreichen und uns nach einer harten Zeit mit gemeinsam durchgestandener Coronakrise wieder begegnen und miteinander kommunizieren. Aktionen wie „Schalömchen Köln“ finde ich super, denn sie zeigen Präsenz, Wärme und vor allem Offenheit.  

Ich hoffe, dass das Festjahr ganz viele verschiedene Leute zeigen wird und wir uns als eine Gesellschaft präsentieren, die viel mehr ist als das Thema Antisemitismus.